Blickpunkt
von Felix Reiser
Ein denkwürdiger Tag
Vor 40 Jahren rückte Degerloch plötzlich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Die RAF-Terroristen Baader, Ensslin und Raspe wurden auf dem Dornhaldenfriedhof beerdigt. Und eine Trauerfeier im Ortszentrum gab es auch noch.Nasskalte Temperaturen kündigten an jenem Donnerstag, den 27. Oktober 1977 schon morgens den Winter an. Der Himmel war bedeckt, Hubschrauber kreisten über Degerloch und jede Menge Polizeifahrzeuge säumten die Ränder entlang der Heinestraße. Um die Mittagszeit kreuzten Fernseh-Teams in der Löwenstraße auf und richteten ihre Objektive in Richtung des Restaurants "Fässle". Viele Degerlocher wussten gar nicht wie ihnen an diesem Tag geschah, andere schüttelten nur den Kopf darüber, warum ihr Heimatort plötzlich in das Visier der Öffentlichkeit geraten ist.
Dazu beigetragen hatte der damalige Oberbürgermeister Manfred Rommel. Seine legendäre Aussage "Mit dem Tod muss jede Feindschaft enden" ermöglichte die gemeinsame Beisetzung der RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in einem Grab auf dem Dornhaldenfriedhof in Degerloch (Bild re.). Nach der Befreiung der Geiseln in Mogadischu hatte sich das in Stammheim inhaftierte Terroristen-Trio selbst getötet, anschließend wurde Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer von der RAF hingerichtet. Ganz Deutschland war in Aufruhr.
Bevor die Trauerfeier der Familie Ensslin im "Fässle" bei dem Wirte-Ehepaar Eugen und Ingeborg Maier (Bild li.) stattfinden konnte, musste Vater Helmut Spießrutenlaufen. Der Stuttgarter Pfarrer war auf der Suche nach einem Nebenraum für die Trauerfeier, um im engsten Freundes- und Familienkreis seiner Tochter Gudrun zu gedenken. Einige Stationen hatte er schon hinter sich, als er in der "Wilhelmshöhe" in Degerloch bei der Familie Marquardt auftauchte. Seine Anfrage um eine Reservierung wurde abgelehnt. Eugen Maier, ein lebenslustiger und geselliger Typ mit Ecken und Kanten, verweilte zu dem Zeitpunkt bei seinen Wirte-Kollegen. Der Gedanke, dass jemand keinen Platz für eine Trauerfeier findet, beschäftigte den sozial geprägten Schalke 04-Fan so sehr, dass er gemeinsam mit seiner Frau Ingeborg beschloss, der Familie Ensslin einen Nebenraum im "Fässle" anzubieten.
Was Eugen und Ingeborg Maier damit auslösten, haben sie vorher nicht im geringsten geahnt. Das "Fässle" war bis zu jenem Zeitpunkt ein Lokal für die gehobene Mittelschicht - es gab Rostbraten und Maultaschen, aber auch viele französische Gerichte wie Lammeintopf oder Miesmuscheln in Weißwein. Maier hatte einst in Frankreich das Kochen gelernt und selbst zu seinen "Fässle"-Zeiten fuhr er oft früh morgens nach Straßburg zum Einkaufen auf dem Großmarkt. Am Tag der Trauerfeier der Familie Ensslin ging es nicht nur vor, sondern auch in dem Lokal drunter und drüber. So berichtete zum Beispiel der "Spiegel", dass die Stuttgarter Rechtsanwalt-Sozietät Jauch & Sigle an diesem denkwürdigen Tag das Lokal verließ, als RAF-Verteidiger Otto Schily den Raum betrat.
Viele Stammgäste haben das "Fässle" nach dem 27. Oktober 1977 nicht mehr aufgesucht, dafür bildete sich ein neues, interessantes Klientel. Mit der Ablehnung für ihre menschliche Tat mussten die Maiers leben, dafür wurden sie mit neuen Gästen aus dem Kunst-, Kultur und Journalisten-Metier entschädigt. Und ein Hauch dieser Szene mit Gästen wie Schauspieldirektor Claus Peymann, Schriftstellerin Friederike Roth, Schauspieler Martin Lüttge oder Kunstmaler Jan-Peter Tripp hat unserem Stadtbezirk bestimmt nicht geschadet. Eugen Maier ist 1987 im Alter von 49 Jahren bei seinem Friseur im Berolina-Haus an einem Herzinfarkt erlegen. Seine Frau, die noch lange in der Nähe des "Fässle" lebte, hat das Lokal 1992 aufgegeben. Eugen und Ingeborg Maier - sie bleiben in Degerloch unvergesslich.
Kommentare
Kommentar von R.W.Tripps |
Zu dem Beitrag "Ein denkwürdiger Tag" - vom 18.10.2017
"Und ein Hauch dieser Szene mit Gästen wie Schauspieldirektor Claus Peymann, Schriftstellerin Friederike Roth, Schauspieler Martin Lüttge oder Kunstmaler Jan-Peter Tripp hat unserem Stadtbezirk bestimmt nicht geschadet."
So, so Herr Reiser auf die Sympathisanten dieser Schweine (um ein gängiges Wort aus der RAF-Sprache zu zitieren) da singen sie das Hohelied, dass sie Degerloch nicht geschadet haben. Das ist ja wohl der Hit dieses denkwürdigen Tages.
Kein Wort (außer dem des Herrn Schleyer) über die insgesamt 22 anderen Opfer, die diesen abartigen, linken Verbrechern zum Opfer gefallen sind. Das ist schon bezeichnend. Es wäre sicherlich klüger gewesen,wenn sie diese Gedanken, oder besser ausgedrückt, diesen unsäglichen Satz nicht in die Tastatur getippt hätten. Das hätte Degerloch gut getan!
Rainer Tripps
Anmerkung der Redaktion: Es stand nirgends geschrieben, dass Gäste wie Schauspieldirektor Claus Peymann, Schriftstellerin Friederike Roth, Schauspieler Martin Lüttge oder Kunstmaler Jan-Peter Tripp RAF-Sympathisanten waren.
Kommentar von Fritz Steidl |
Zu dem Beitrag "Ein denkwürdiger Tag" - vom 18.7.2017
Ein sehr interessanter Beitrag, vor allem, wenn man Degerloch aus dieser Zeit gar nicht kennt, da ich wo anders gelebt habe. Völlig daneben finde ich den aggressiven Kommentar dieses Herrn Tripps.
Fritz Steidl
Kommentar von Peter Tolgei |
Zu dem Beitrag "Ein denkwürdiger Tag" - vom 18.7.2017
Herr Tripps fällt mir hier immer öfters mit seinen aggressiven Kommentaren auf. Herr Tripps, bitte lassen Sie sich vom Arzt durchchecken, vielleicht besteht ja noch Hoffnung und alles wird wieder gut. Hochachtungsvoll
Peter Tolgei
Kommentar von Sabine Metz |
Zu dem Beitrag "Ein denkwürdiger Tag" - vom 18.7.2017
Man muss großen Respekt haben vor den Wirtsleuten Maier und wie sie damals gehandelt haben. Wirte wie sie Degerloch noch heute gut zu Gesicht stehen würden.
Sabine Metz
Kommentar von Rolf Neuer |
Zu dem Beitrag "Ein denkwürdiger Tag" - vom 18.7.2017
Dem Beitrag von Herrn Tolgin kann man nur zustimmen. Die Auswahl an Ärzten in Degerloch ist groß, da könnte auch für Herrn Tripps was dabei sein. Den Artikel zu Fässle und der Familie Maier finde ich sehr informativ und gelungen.
Rolf Neuer
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