Blickpunkt
von Stephan Hutt
Ein Pfarrer sieht rot
Albrecht Conrad, Pfarrer der Michaelsgemeinde, absolvierte ein Praktikum beim VfB Stuttgart. Besser hätte es nicht kommen können - der Degerlocher ist leidenschaftlicher Fußballfan.Was Abseits ist, braucht man Albrecht Conrad (Bild) nicht zu erklären. Das hatte er schon als kleiner Junge intus, als er aus der Region Heilbronn aufbrach, um den Förster-Brüdern, Hansi Müller oder Asgeir Sigurvinsson im damaligen Neckarstadion zuzujubeln. Einmal Fan, immer Fan - Dauerkarte inklusive. Auch heute noch steht der Pfarrer der Michaelskirche regelmäßig bei den Heimspielen des VfB in der Cannstatter Kurve und fiebert mit den Roten. Ein Blick hinter die Kulissen ergab sich kürzlich im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums.
Der Abschluss einer Vikar-Ausbildung, in diesem Fall von Julian Scharpf, ermöglichte Albrecht Conrad die vorübergehende Freistellung aus der kirchlichen Arbeit. "Diese freiwillige Art des Sichtwechsels konnte ich mir selbst aussuchen. Wichtig war mir dabei, dass es einerseits ganz anders ist als die Arbeit in der Kirche, anderseits aber auch vergleichbar sein sollte", sagt der 46-Jährige, der auch schon bei der Stuttgarter Zeitung hospitierte. Fußball und Kirche, beide stehen für öffentliche Ereignisse und finanzieren sich zum Teil durch ihre Mitglieder, die es auch zu betreuen gilt. 65 000 lautet das Ziel des VfB bis Saisonende - 100 000 Mitglieder sollen es nach der Vision von Präsident Wolfgang Dietrich in den kommenden Jahren werden.
"Richtig mitgearbeitet habe ich nicht, aber ich konnte in viele Abteilungen reinschnuppern", blickt Conrad auf sein Auswärtsspiel in Bad Cannstatt zurück. Fan- und Mitgliederbetreuung, Stadionführung, Haustechnik, Arena Betriebs GmbH, Service Center, Marketing und Fußballschule standen auf dem Lehrplan, der auch Anregungen für die hauptberufliche Arbeit mit sich brachte. "Was Emotion und Marketing betrifft, gäbe es schon positive Ansätze für die Kirche", sagt Conrad und stellt dabei klar, "dass ein Pfarramt mit der Präsenz und Betreuung sozialer Netzwerke überfordert wäre".
Morgens rein, abends raus, Feierabend - neben neuen Erkenntnissen brachte das Praktikum jenseits von Degerloch für Conrad auch einen anderen Tagesablauf mit sich. Dass er sich die kirchliche Auszeit nicht in Degerloch bei den Kickers nahm, hat allerdings nichts mit der VfB-Dauerkarte zu tun. "Ich besuche auch immer wieder Heimspiele der Blauen. Die Möglichkeiten der Rundum-Einblicke wäre für mich aber hier nicht in diesem Maße möglich gewesen", sagt Conrad, der mit der Fanbetreuung des VfB auch das Auswärtsspiel der Roten bei Hannover 96 besuchte. Vermutlich lag es an der seelsorgerischen Begleitung, dass der Bundesliga-Aufsteiger ausgerechnet dort seinen einzigsten Auswärtspunkt ergatterte.
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