Blickpunkt
von Felix Reiser
Zwiespältige Entwicklung
Es ist schon ein paar Jahre her, als die Banken vor Ort noch ein wichtiger Bestandteil des örtlichen Geschehens waren. Heute sind sie fast nur noch reiner Dienstleister.Rolf Reihle erinnert sich gerne an die Jahre von 1988 bis 2012. In jenen Zeiten war der jährliche "Degerlocher Maimarkt" ein absolutes Highlight im örtlichen Veranstaltungskalender. In der Epplestraße wimmelte es nur so von Menschen - ein Durchkommen war oft schwierig. Auf mehreren Bühnen präsentierten Models der Fachgeschäfte "Pelzmoden Stenker", Ovi's Frisuren" und "Goebel Moden" die neuesten Stylings. Aber auch die Banken mischten kräftig mit. Die Commerzbank sponserte den Auftritt von Schwabenrocker Wolle Kriwanek am Albplatz (Bild), die damalige Dresdner Bank brachte Gotthilf Fischer am Marktplatz auf die Bühne und stellte ihre Räumlichkeiten für einen VIP-Empfang zur Verfügung. Nachträglich waren in den Schaufenstern der BW Bank jede Menge Maimarkt-Fotos ausgestellt, die man dann bei Foto Kleiber in der Felix-Dahn-Straße bestellen konnte.
Alles längst Geschichte. Die Modenschauen wurden weniger, der Maimarkt nahm mit der 21. Veranstaltung im Jahr 2012 sein Ende. Und die Banken? Sie haben sich nicht nur aus der Werbung in den lokalen Medien zurückgezogen, sondern mit kleinen Ausnahmen auch aus dem örtlichen Geschehen. "Die Banken haben in früheren Zeiten noch expandiert und die Filialleiter engagierten sich ehrenamtlich im Gewerbe- und Handelsverein (GHV), der örtlichen Werbegemeinschaft und auch in anderen Degerlocher Vereinen. Mit der Einführung von ständig verbesserten Automaten und der Digitalisierung veränderte sich das Bankengeschäft grundlegend und der persönliche Kontakt zu den führenden Personen ging verloren", erklärt Reihle den Wandel. Der frühere Orga-Chef des Maimarktes, 1. Vorsitzende des GHV und der Werbegemeinschaft weiß, dass diese Entwicklung mit den Banken im Stadtbezirk nicht aufzuhalten ist.
Kleine Lichtblicke gibt trotz dieser zwiespältigen Entwicklung. So engagiert sich jetzt zum Beispiel die BW-Bank für den gemeinnützigen Spendensammelverein "Degerloch hilft" mit der kostenlosen Verwaltung des Kontos sowie der Finanzierung von jährlich 35 000 Überweisungsvordrucken für die "Degerlocher Weihnachtshilfe", die in zwei Ausgaben dem "Degerloch Journal" beigeheftet werden. Viele Jahre war das die Angelegenheit der örtlichen Südwestbank, die diesen Service jetzt aus Kostengründen aufgekündigt hat. "Wir wollen in Degerloch präsent sein und fördern hier auch soziale Projekte. Unser Kundengeschäft soll wachsen, schon deshalb bekennen wir uns zum Filialkonzept. Sicherlich spielt die Digitalisierung auch bei uns eine wichtige Rolle, aber wir kombinieren digitalen Service mit der Beratung vor Ort", sagt Christian Paul, Leiter des Degerlocher BW-Bank-Standortes.
Vor kurzem ist die Commerzbank aus dem Gewerbe- und Handelsverein ausgetreten. Ob das ein erster Hinweis darauf ist, dass das Unternehmen den Standort Degerloch aufgibt, entbehrt derzeit noch jeder Grundlage. Insider und Experten hegen aber große Zweifel, was die längerfristige Präsenz der Commerzbank sowie der Deutschen Bank in Degerloch betrifft. Bleibt die Sparda-Bank, die im Stadtbezirk seit der Neueröffnung im Januar 2004 mit exklusivem Festakt und einer großzügigen sozialen Spende genauso zurückhaltend agiert wie die Stuttgarter Volksbank.
Die Veränderungen in der Anteilnahme der Stadtbezirksentwicklung ist eine Sache. Parallel dazu vollzog sich aber auch ein Wandel im Service. So bieten heute nur noch zwei von sechs Banken einen Service für den Bargeldverkehr, die BW-Bank-Filiale im Hoffeld wurde im vergangenen Jahr in einen Selbstbedienungsstandort mit Kontenmanager umgewandelt. Allerdings können weiterhin Beratungsgespräche terminiert werden. "Das ist der Trend der Zeit. Im Zuge der zunehmenden Online-Überweisungen sowie der digitalen Kontoauszüge musste das Personal zwangsläufig reduziert werden und manche Standort lohnen sich gar nicht mehr. Nicht zu vergessen, dass man heute auch beim Lebensmittel-Discounter Bargeld ausbezahlt bekommt ", sagt ein Mitarbeiter einer anderen örtlichen Bank-Fililale, der allerdings nicht genannt werden will.
Eine wachsende Zahl von Banken wird zukünftig auf Sprachassistenten wie Siri oder Alexa setzen, was zum Beispiel Überweisungen auf mündliche Weise ermöglicht. "Auch in Zukunft werden Filialen aufgegeben und zusammengelegt, ob es dann in Degerloch noch sechs Banken gibt, lässt sich anzweifeln", glaubt Rolf Reihle, Inhaber eines örtlichen Elektro-Geschäftes. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Standorte Degerloch dann auf ferne Zukunft in seinem Branchen-Mix bereichern.
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